Das Endocannabinoid System (ECS)

Eine Definition bzw. Abgrenzung dieses komplexen endogenen (körpereigenen) Signalsystems, das als Endocannabinoid-System (ECS) bekannt ist, wird eine immer schwierigere Aufgabe. 

Autor

Philip Schmiedhofer, MSc

Inhaltsverzeichnis

Was versteht man unter dem Endocannabinoid System und wie funktioniert es?

Man kann also guten Gewissens behaupten, dass die Wissenschaft kontinuierlich sowohl die Komponenten als auch die physiologische Bedeutung erkennt

Was macht das ECS?

Das ECS dient nach allen bisherigen Erkenntnissen, der Aufrechterhaltung der Homöostase.

Die komplexe Funktion des ECS

Ebenso wie die Regulation der neuronalen Kommunikation regelt das ECS Immunfunktionen, vor allem in Bereichen, in dem das Immunsystem (in der bisher definierten Art) weniger stark ausgeprägt ist.

Zusammenfassung

Zusammengefasst wird die physiologische Bedeutung des ECS unterschätzt. Das ECS wird durch die Ernährung, Schlaf, Stress, Bewegung und soziale Interaktion sowie die Aufnahme von externen Cannabinoiden (zB. Phytocannabinoiden) beeinflusst.

Was versteht man unter dem Endocannabinoid System und wie funktioniert es?

Tatsächlich ist die Zahl der potenziellen Komponenten dieses Systems, dessen Ursprung aus Studien über den Wirkmechanismus des psychotropen Inhaltsstoffe einiger Cannabissorten, Δ9-Tetrahydrocannabinol (THC), identifiziert wurde, rasant gestiegen. Man kann also guten Gewissens behaupten, dass die Wissenschaft kontinuierlich sowohl die Komponenten als auch die physiologische Bedeutung erkennt und das Verständnis dafür wachsen lässt. Sicher ist aber dass das ECS bei sehr vielen essentiellen Körperfunktionen eine wichtige Rolle spielt.

Endocannabinoidsystem

 

Die Definition des Begriffs Endocannabinoid (eCB) wird sich in naher Zukunft sicher ändern, da die Forschung dazu noch verhältnismäßig jung ist. Um die Jahrhundertwende wurde das ECS als das Ensemble der zwei G-Protein-gekoppelten Rezeptoren (GPCRs) CB1 (Cannabinoid-Rezeptor Typ-1) und CB2, definiert.  Der CB1 Rezeptor ist der am häufigsten gebildete Rezeptor im zentralen Nervensystem, was seine Bedeutung noch erhöht. Ihre beiden am besten untersuchten endogenen Liganden - also die Stoffe, die sich daran binden können - die auch als eCB bezeichnet werden sind N-Arachidonoyl-Ethanolamin (Anandamid) und 2-Arachidonoylglycerol (2-AG). Die Enzyme, von denen man damals annahm, dass sie alleine verantwortlich für die eCB-Biosynthese sind heißen N-Acyl-Phosphatidyl-Ethanolamin-selektive Phospholipase D (NAPE-PLD) und Diacylglycerin-Lipasen (DAGL) α und β, sowie zum Abbau, der hydrolytische Inaktivierung, die Fettsäureamid-Hydrolase (fatty acid amide hydrolase (FAAH) und Monoacylglycerol-Lipase (MAGL). 


Diese Definition wirft jedoch einige semantische Probleme auf, denn von den > 80 Cannabinoiden, die natürlich in Cannabis vorkommen waren nur THC (als Agonist) und das weniger häufig vorkommende propyl-analog, Δ9-Tetrahydrocannabivarin (THCV) (als Antagonist) in der Lage mit hoher Affinität an CB1R und CB2R zu binden. Daher sollten diese beiden Rezeptoren nicht als "Cannabinoid"-Rezeptoren definiert, sondern eher als THC/THCV-Rezeptoren definiert werden. Die Definition "Cannabinoidrezeptor" sollte auch jene Proteine umfassen, an die häufig Cannabinoide binden, wie etwa die thermosensitiven Transient-Receptor-Potential (TRP)-Kationenkanäle. Als Folge davon, sollten "Endocannabinoide" nicht nur die endogenen Liganden von CB1R und CB2R bezeichnen, sondern vielmehr all die Liganden dieser "Cannabinoid-Rezeptoren". 


Daraus resultiert das AEA und 2-AG (welches ca. 1000 mal so häufig im Gehirn vorkommt wie AEA) nicht die einzigen eCB sind, was wiederum als Konsequenz nach sich zieht, das andere Enzyme, die für die Biosynthese und Inaktivierung der anderen Mediatoren, die schließlich in die Liste der eCB aufgenommen werden auch dem ECS zugeordnet werden. Diese Schlussfolgerung zeigt deutlich wie schwierig eine Abgrenzung eines Systems in einem Organismus sein kann, vorallem wenn es sehr spät entdeckt wurde; dessen Relevanz aber von größter Bedeutung ist, wie wir an den physiologischen Einflüssen erkennen können.

Was macht das ECS? 

Das ECS dient nach allen bisherigen Erkenntnissen, der Aufrechterhaltung der Homöostase. Diese ist dafür da den Körper und seine Funktionen in Balance zu halten. Ein geregelter Zustand (sei es die Körpertemperatur, die konstante Versorgung mit Sauerstoff und Nährstoffen, die Immunabwehr, die Gewebeentwicklung, die Fortpflanzung, etc.) ist Voraussetzung für die Entwicklung, das Überleben, sowie der Neubildung der Zellen, aus denen unser Organismus besteht und dessen Funktion. Jedes der Zielparameter ist in komplexen Regelkreise eingebunden, die als Gesamtheit unsere Körperfunktionen regulieren. Das ECS dient der Erhaltung dieser Regelkreise, in dem es überschießende Reaktionen dämpft und oder diese  bei mangelnder Regulation moduliert. 


Die retrograde Kontrolle im Bereich der neuronalen Kommunikation ist die bisher wohl am besten erforschte Kontrollfunktion der eCB. Bei übermäßiger Innervierung von Rezeptoren in der postsynaptischen Zelle wird die Ausschüttung von Transmittersubstanzen in den synaptischen Spalt, durch eine retrograde Signaltransduktion (Postsynapse zu Präsynapse), gehemmt. Einfacher ausgedrückt, dämpft das ECS mit diesem Mechanismus überschießende neuronale Kommunikation. Dies hat natürlich physiologische Bedeutung, besonders auf Ebene der Gedächtnisleistung, der Schmerzwahrnehmung sowie der Emotionen.


Die physiologische Relevanz ist größer als bisher angenommen. Um hier einige Einflussgebiete zu nennen:

Die komplexe Funktion des ECS

Ebenso wie die Regulation der neuronalen Kommunikation regelt das ECS Immunfunktionen, vor allem in Bereichen, in dem das Immunsystem (in der bisher definierten Art) weniger stark ausgeprägt ist, etwa dem Gehirn. Das ECS hat Einfluss auf den Energiehaushalt der Neuronen und kann damit neuroprotektive Wirkungen ausüben. Das ECS hat direkten Einfluss auf Entzündungsreaktionen, einem Teil unserer Immunreaktion, zur Abwehr von Infektionen und als Teil der Heilung nach Verletzungen. AEA hemmt Berichten zufolge auch funktionelle Aktivitäten des Immunsystems, insbesondere die Produktion von entzündungsfördernden Zytokinen (IL-2,TNF-α and IF-γ). 


Das ECS steuert die Entwicklung unseres Körperaufbaus und regelt über komplexe Molekülgradienten zB. die Vernetzung der Neuronen des Embryos, oder die Differenzierung von Zelltypen (zB. Osteoblasten/Osteoklasten oder Myotuben/Myofibrillen). Das ECS hat Einfluss auf das Endometrium, welches maßgeblich für die Fortpflanzung ist, ebenso wie die Regulation der Spermatogenese.


Das ECS reguliert den Appetit und die daraus resultierende Aufnahme von Nahrung und Nährstoffe. Das ECS des Magen-Darm-Trakts (GI) und der Leber. AEA, 2-AG und OEA (N-Oleoylethanolamide) werden im Darm und in der Leber synthetisiert, wo sie lokal und im Gehirn wirken. eCB regulieren die Darmmotilität auf der Ebene der enterischen Nervengeflechte, sie verringern Darmentzündung durch ihre Wirkung auf das Immunsystem und beeinflussen die Funktion der Darmbarriere auf der Ebene des Epithels. eCB und OEA regulieren die Nahrungsaufnahme durch ihre Wirkung auf enteroendokrine Zellen in der Darmwand, den Vagusnerv und im Gehirn. In der Leber haben CB1 und CB2 entgegengesetzte Wirkungen, wobei CB1 Steatose, Fibrogenese, Apoptose und Proliferation fördert und CB2 diese Wirkungen hemmt.

Zusammenfassung

Zusammengefasst wird die physiologische Bedeutung des ECS unterschätzt. Das ECS wird durch die Ernährung, Schlaf, Stress, Bewegung und soziale Interaktion sowie die Aufnahme von externen Cannabinoiden (zB. Phytocannabinoiden) beeinflusst. Dies erklärt unter anderem die historische Kultivierung der Hanfpflanze und den Gebrauch als Heilmittel, Genussmittel und Suchtmittel. Erfahren Sie mehr über Phytocannabinoide in unserem dazu passenden Blogbeitrag.

Philip Schmiedhofer, MSc

Philip ist Geschäftsführer und Mitgründer der cannhelp GmbH. Mit einem Studium der Medizintechnik und Molekularbiologie, spezialisiert auf Neurowissenschaften und dem Fokus auf Cannabinoide, gilt er als anerkannter Experte für die Anwendung von Cannabinoiden in der Medizin. Als Medizinprodukteberater leitet er auch den Vertrieb von cannmedic und bietet spezialisierte Beratung für medizinische Fachkreise. Seine Expertise umfasst die Entwicklung und den Vertrieb von Cannabinoid-basierten Produkten. Im Bereich Forschung beteiligt er sich an bedeutender Grundlagenforschung am Zentrum für Hirnforschung der Medizinischen Universität Wien. Als Mitgründer und aktueller Geschäftsführer der cannmedic GmbH, einem Vorreiter im CBD-Medizinproduktehandel, verfügt er über langjährige unternehmerische Erfahrung. Darüber hinaus unterhält er ein weitreichendes Netzwerk in der Branche und berät international agierende Unternehmen im Bereich medizinischer Cannabinoide.